König Richard Löwenherz in Dürnstein
In dem Heer der Kreuzfahrer, die mit Kaiser Friedrich Barbarossa in das
Morgenland zogen, um die heiligen Stätten vom Joch der Ungläubigen
zu befreien, waren unter vielen anderen Fürsten und Herren auch Richard
Löwenherz, der König von England, und Herzog Leopold V. der Tugendhafte
von Österreich.
Nachdem der alte Barbarossa im Fluß Saleph ertrunken war, entstand
unter diesen Fürsten ein Streit um die Führung des Kreuzheeres.
Bei der Belagerung der starken Feste Akkon im Jahre 1191 hatte Känig
Richard in seinem unbändigen Stolz den Herzog Leopold tief beleidigt.
Die Österreicher hatten nämlich ihre Fahne auf einem eroberten
Wall aufgepflanzt, um diese Stelle als ihr Eigentum zu bezeichnen. König
Richard aber ließ das Feldzeichen der Österreicher
herunterreißen und in den Kot zerren und auf dem Wall seine eigene
Fahre aufzuziehen. Das war ein Schimpf, den ihm Herzog Leopold nicht vergeben
konnte; er schwor dem König ewige Rache.
Bald darauf verließ der Herzog mit seinen Mannen das heilige Land und
kehrte in die Heimat zurück. Aber auch die übrigen Kreuzfahrer blieben
nicht mehr lang im Morgenland, da eine Seuche im Heer ausgebrochen war, die
viele Opfer forderte. König Richard, der zur Heimreise den Seeweg
gewählt hatte, wurde durch einen Sturm an die Küste des Adriatischen
Meeres verschlagen und kam auf diese Weise in das Land seines Todfeindes
Leopold von Österreich. Als Pilger verkleidet, wanderte er über
Berg und Tal und langte an einem stürmischen Winterabend im Dorf Erdberg
vor Wien an.
Der Hunger nötigte ihn und seine Begleiter, in einer Herberge vorzusprechen.
Um nicht erkannt zu werden, gebärdete sich König Richard wie ein
einfacher Pilger, stellte sich auf Verlangen des Kochs an den Herd und drehte
ein fettes Huhn am Bratspieß über dem Feuer. Aber er hatte
übersehen, daß ein wertvoller Ring an seinem Finger blitzte, der
den Verdacht des Kochs erweckte. Zudem war zufällig ein alter Kriegersmann
in der Herberge, der auch im Heiligen Land gewesen war¸ dieser erkannte
in dem unscheinbaren Pilger den König von England und teilte seine
Wahrnehmung dem Koch mit.
Noch argwöhnte Richard nichts Böses, da trat der Koch auf ihn zu
und sagte: Erlauchter Herr, Ihr seid zu erhaben, um hier den Braten
zu drehen. Euch ist Besseres bestimmt. Ergebt Euch, jeder Widerstand ist
zwecklos!"
Rasch gefaßt, stellte sich der Pilger, als verstünde er nicht,
was der andere meine. Aber als dieser ihm vorhielt, daß Leute hier
seien, die ihn als den König von England erkannt hätten, drehte
sich Löwenherz um und rief stolz: Führt mich zum Herzog!
Ihm allein will ich mich ergeben."
Noch am gleichen Tag wurde er als Gefangener Leopolds in die Hofburg
geführt. Der Herzog ließ ihn bald darauf insgeheim auf der Burg
Dürnstein in der Wachau festsetzen und übergab ihn der Obhut seines
getreuen Hadmar von Kuenring.
Monatelang schmachtete der König im tiefen Burgverlies der mächtigen
Feste, während man in England von seinem Verbleiben nichts wußte
und vergeblich nach seinem Aufenthalt forschte. Da eine ungewisse Kunde
über ein Schiffsunglück, das den König betroffen habe, das
Land erreichte, begann man an seinen Tod zu glauben und huldigte seinem Bruder
Johann, während sein Andenken in Vergessenheit geriet.
Einen Mann aber gab es in England, der den Tod seines Herrn nicht wahrhaben
wollte; das war des Königs getreuer Sänger Blondel. Der nahm
seine Laute und machte sich auf, den Verschollenen zu suchen. Er zog den
Rhein aufwärts von Stadt zu Stadt, von Burg zu Burg, wanderte
donauabwärts und suchte, sang an allen Höfen, in allen Schlössern
vor Rittern und Herren, forschte auch unter den Söldnern, Waffenknechten
und fahrenden Leuten, ob ihm keine Kunde werde über das Schicksal seines
Herrn.
So war er bis nach Dürnstein gekommen und klomm traurig und hoffnungslos
den steilen Berg hinan. Vor den ragenden Mauern der Feste stimmte er sein
Lied an. Es war ein Gesang, der nur seinem Herrn bekannt war. Vor seiner Fahrt
in das Morgenland hatte ihm der Spielmann zum letztenmal gesungen. Als er
die erste Strophe beendet hatte und nun eine Weile still verharrte, siehe,
da ertönte dumpf und leise aus der Tiefe der Burg Antwort. Gespannt lauschte
der treue Mann, es war keine Täuschung: die Stimme seines Herrn sang
die zweite Strophe des Liedes.
Nun wußte der Sänger, daß der König noch lebte, und
wo er gefangen war. In fliegender Hast jagte er in die Heimat zurück,
tat das Schicksal des Königs kund und ruhte nicht eher, bis seine
Freilassung gegen hohes Lösegeld erwirkt war.
Im Frühjahr 1193 wurde Richard Löwenherz dem Kaiser ausgeliefert,
der ihn nach kurzer Zeit in seine Heimat entließ.
Gefunden bei http://gutenberg.aol.de im Januar 2000.
Folgende Angaben wurden dort zu dieser Version gemacht.
Eingesendet von harald.aichmayr@netway.at und am 10. 5. 1999 ins Internet gebracht.
Als Verleger ist Ueberreuter 1947 und als COPYRIGTH ist Verlag Carl Ueberreuter, Wien
angegeben.
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