Erstens das, zum anderen aber
auch, weil die Kosten eines
Abbruchs in vielen Fällen auf
Antrag von der Krankenkasse
übernommen werden und dadurch
kein finanzieller Druck entsteht.
Haben Sie den Eindruck, dass
es schwangeren Frauen heutzutage
leichter fällt, einen Abbruch
vornehmen zu lassen?
Ganz sicher nicht. Diese
Entscheidung macht sich keine
Frau leicht.
Woran erkennen Sie das?
Es ist ja nicht einfach so, dass
jemand zu mir kommt, sich auf
den Behandlungsstuhl setzt, und
in ein paar Augenblicken ist alles
erledigt. Die Frauen befinden sich
psychisch oft in einer sehr
schwierigen Lage, sind hin- und
hergerissen von Zweifeln und
Ängsten. Da bedarf es eines hohen
Maßes an Einfühlungsvermögen
und Verständnis.
Um sie von der Notwendigkeit
eines Schwangerschaftsabbruchs
zu überzeugen oder gar zu
überreden? Das ist schließlich Ihr
Geschäft.
Ich überrede niemanden. Ganz
im Gegenteil. Ich habe wiederholt
Frauen nach Hause geschickt, weil
ich überzeugt'war, dass sie die
letzte Konsequenz ihres Handelns
nicht ausreichend bedacht hatten
und ihre Zweifel zu groß waren.
Das sind keine geeigneten
Voraussetzungen für einen
Abbruch.
Glauben Sie, dass die
Frauen bei ihrer Entscheidung
von ihren männlichen
Partnern alleingelassen
werden?
Das lässt sich so pauschal
nicht beantworten. Dazu sind die
Gründe, eine Schwangerschaft zu
unterbrechen, zu unterschiedlich.
Manche Frauen kommen allein zu
mir in die Praxis, viele werden
auch begleitet. Oft sind es dann
allerdings Freundinnen oder ein
weibliches Familienmitglied.
Männer sind auf dem Feld der
psychischen Betreuung
gelegentlich weniger geeignet.
Während meiner achtjährigen
Tätigkeit hier in Nürnberg sind
zwei Frauen, die beim Eingriff
dabei waren, bewusstlos
umgefallen, aber mindestens 50
Männer.
Der bereits erwähnte soziale
Aspekt in Zusammenhang mit der
flauen Wirtschaftslage, der eine
Frau zu einem Abbruch bewegt,
ist ja nur einer von vielen. Welche
Gründe spielen noch eine Rolle?
Es gibt viel extremere Gründe.
Denken Sie nur an Frauen und
junge Mädchen, die vergewaltigt
und dabei schwanger wurden.
Was aber so häufig nun auch
wieder nicht vorkommt.
Häufiger, als man denkt, und
viel häufiger, als den Statistiken
zu entnehmen ist. Nach meiner
Einschätzung wird höchstens jede
zehnte Vergewaltigung, die eine
Schwangerschaft zur Folge hat,
bei der Polizei angezeigt.
Woran liegt es, dass eine
vergewaltigte und schwangere
Frau ihren Peiniger deckt?
Eine nicht zu unterschätzende
Rolle spielt dabei sicherlich das
offenbar nicht vermeidbare, aber
dennoch entwürdigende
Schauspiel, dem das Opfer
ausgesetzt ist. Es mündet am
Ende in einen öffentlichen
Prozess, in dem intime Details
und oftmals komplizierte, für Außenstehende kaum
nachvollziehbare
Beziehungsgeflechte vor
neugierigen Zuhörern ausgebreitet
werden. Das wollen viele
betroffene Frauen einfach nicht
auch noch hinnehmen müssen.
Weil für sie die Situation
ohnehin schwierig genug ist?
Vor allen Dingen, wenn sie
noch sehr jung sind. Mädchen im
Alter von 14 oder 15 Jahren, deren
Leben für immer geprägt bleibt.
Nicht alle Mädchen in diesem
Alter wurden infolge eines
Sexualdelikts schwanger.
Natürlich nicht. Aber Teenager
in diesem Alter haben heute
häufiger Sex und mehr Partner, als
dies noch vor ein paar Jahren der
Fall war. Dadurch gibt es auch
mehr ungewollte
Schwangerschaften.
Haben wir im Jahr 2002 wohl in
dieser Hinsicht ein Teenager-
Problem?
Nein, da sind wir von
amerikanischen Verhältnissen
noch ein gutes Stück entfernt.
Dort gibt es ein Teenager-
Problem, dort werden junge
Mädchen viel häufiger schwanger
als bei uns, dort finden viel
häufiger Abbrüche in einem sehr
späten Stadium statt.
Haben amerikanische Teenager
wohl noch mehr Sex als
unsere bundesdeutschen
Jugendlichen?
Daran liegt es nicht. Die
fehlende Aufklärung im Land der
unbegrenzten Möglichkeiten
macht es aus. Und darunter haben
vor allem unterprivilegierte
Bevölkerungsgruppen zu leiden.
Zurück an Ihren Arbeitsplatz
in Nürnberg. Ihre Praxis, die sie
von der Stadt angemietet haben
und autonom betreiben, liegt auf
dem Gelände des Nordklinikums.
Jeden Samstag pilgert ein gutes
Dutzend Abtreibungsgegner mit
Kreuzen und Rosenkränzen vor
den Haupteingang, um gegen die
Existenz Ihrer Praxis zu
demonstrieren. Macht Sie das
nachdenklich?
Über die ethischen Grundsätze
der Abtreibungs-Problematik
denke ich nicht erst nach, seitdem
diese extremkonservative
Glaubensgemeinschaft aufkreuzt.
Ich habe mich schon während
meiner Ausbildung als Arzt dafür
entschieden, ungewollt schwanger
gewordenen Frauen zu helfen, die
Hilfe brauchen.
Was hat Sie dazu bewegt?
Sehr beeindruckt hat mich ein
belgischer Arzt, der in den 70er
Jahren verhaftet wurde, weil er
Schwangerschafts-Abbrüche, die damals tabuisiert und
illegal waren, trotzdem
durchgeführt hat. In einer
Pressekonferenz, die im Gefängnis
stattfand und vom Fernsehen
übertragen wurde, kündigte er an -
und er war immerhin der
angesehenste Frauenarzt des
Landes - dass er nach seiner
Entlassung weitermachen werde.
Eine imponierende Stärke.
Abgesehen von Anfeindungen
der Abtreibungsgegner ist Ihre
Tätigkeit als Abtreibungsarzt
selbst in Kreisen mancher
Mediziner umstritten. Brauchen
Sie auch die mentale Stärke Ihres
belgischen Kollegen?
Ich brauche meine Stärke, um
meinen Beruf in einer möglichst
hohen Qualität ausführen zu
können. Das ist nicht selten
anstrengend, was ich merke, wenn
ich mich nach der Arbeit nach
nichts anderem als Ruhe und
Entspannung sehne.
Macht Ihnen Ihr Beruf Spaß?
Er erfüllt mich auf jeden Fall
mit Befriedigung. Und vor allem
dann, wenn ich einer
geschundenen Frau ein Stück ihrer
verloren gegangenen Würde wieder
zurückgeben kann.
Dr. Andreas Freudemann (46),
ein gebürtiger Badener
(Freiburg), kam vor achteinhalb
Jahren nach Nürnberg und
eröffnete auf dem Gelände des
Nord-Klinikums eine
Abtreibungspraxis. Er brachte
einschlägige Erfahrungen mit.
Nach seinem Medizinstudium
war er ärztlicher Leiter von
"Pro Familia" in Bremen und
nahm damals die ersten
Abtreibungen vor. Doch es zog
ihn in den Süden der Republik
zurück. In Nürnberg fand er
nicht nur die berufliche
Aufgabe, die er haben wollte.
Hier lernte er auch seine Frau
kennen, mit der er seit zwei
Jahren verheiratet ist.
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