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Armut hat viele Gesichter

Ein Gespräch mit der Leiterin der Allgemeinen Sozialen
Beratung des Caritasverbandes Nürnberg

 
In Deutschland wir erregt über eine neue Unterschicht und Kinderarmut diskudiert. Auch wenn es sich dabei nicht um jene Extremform handelt wie in Südosteuropa oder den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, sollte man trotzdem angesichts verlockender Schaufenster und praller Einkaufstüten nicht davor die Augen verschließen. KONTAKTE sprach über Armut in Nürnberg mit der Leiterin der Allgemeinen Sozialen Beratung des Caritasverbandes Nürnberg, Frau Judith Alexander.

 
Frage:   Frau Alexander, die Bezeichnung Ihrer Arbeitsstelle ist „Allgemeine Soziale Beratung“. Was für eine Tätigkeit versteckt sich konkret hinter dieser Umschreibung?
 
Die Beratungsstelle ist in erster Linie eine Anlaufstelle für Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen und Fragestellungen – daher vielleicht das Wort „allgemein“. Das reicht von Beratung bei Behördenangelegenheiten über Hilfestellungen bei der Beantragung verschiedener Leistungen wie z.B. Wohngeld oder Arbeitslosengeld, Informationen über Fachberatungsstellen und freiwillige Sozialleistungen wie z.B. Kleiderkammern und die Essensausgabestellen bis hin zu persönlichen Anliegen und Problemen.
 
Gerade bei älteren Menschen mache ich auch Hausbesuche. Ich rufe auch bei Behörden an, wenn es Klärungsbedarf gibt oder wenn es seitens der Ratsuchenden Verständnisfragen gibt. Außerdem sind die Bescheide und der Schriftverkehr der Behörden teilweise sehr kompliziert, so dass ich diese oft zusätzlich erläutern muss.
 
Meine Arbeit verstehe ich auch als Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt, ich möchte gemeinsam mit den Ratsuchenden geeignete Lösungen für die Probleme und Anliegen finden.

 
Frage:   Das Thema „Armut“ kursiert zurzeit überall in den Medien. Wie erleben Sie Armut in Ihrer Tätigkeit?
 
Ich habe es in meiner Beratungstätigkeit am häufigsten mit wirtschaftlichen Notlagen zu tun. Ich nenne einige Beispiele: die Leute wissen nicht, wie sie die Energiejahresrechnung begleichen sollen. Das Geld für notwenige Anschaffungen wie Herd, Kühlschrank, Waschmaschine oder Bett kann von dem für den Lebensunterhalt verbleibenden Geld nicht aufgebracht werden. Viele Ratsuchende haben finanzielle Probleme, die oft auf Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennungen zurückzuführen sind.
 
Die meisten Ratsuchenden leben von Sozialleistungen (ALG II oder Grundsicherung) oder erhalten ergänzende Sozialleistungen. Die finanziellen Spielräume sind sehr eingeschränkt und den Menschen steht nur das absolut Notwendigste zur Verfügung.

 
Frage:   Können Sie dafür Beispiele nennen?
 
Da brauche ich nicht groß zu überlegen: ich denke zum Beispiel an die ältere Dame, die mit ihrer winzigen Rente gerade so über die Runden kommt, aber kein Geld für eine Brille hat. Ich denke an die alleinerziehende Mutter mit drei schulpflichtigen Kindern, die nicht weiß, wie sie die Kosten für den Schulbedarf aufbringen soll. Ich denke an die mehrköpfige Familie, der die Waschmaschine kaputtgegangen ist, die aber kein Geld für ein neues Gerät hat. Oder ich denke an die Menschen, denen einfach das Geld für den Lebens-unterhalt fehlt und die in finanzielle Notlagen geraten.

 
Frage:   Kommen die Leute mit ihrem Geld nicht mehr zurecht? Was hat sich da verändert?
 
Durch den Wegfall der einmaligen Beihilfen ist die Situation für die ratsuchenden Menschen angespannter geworden. Bei der Sozialhilfe früher gab es einmalige Beihilfen. Seit der Einführung von Arbeitslosengeld II sind notwendige Anschaffungen jedoch im Regelsatz enthalten und müssen oder sollen angespart werden.
 
Die Realität ist aber bei vielen Leuten anders: in vielen Fällen bleibt nach Abzug der festen Kos-ten wie Miete oder Energienebenkosten nur noch das Nötigste für den Lebensunterhalt. Bei Kranken kommen noch Zuzahlungen für Medikamente oder die Praxisgebühr (bis zur Belastungsfreigrenze) dazu.
 
Wie groß die Not ist, sehen wir auch am Zulauf bei Essensausgabestellen oder bei unserer Kleiderkammer. An den beiden Ausgabetagen Dienstag und Donnerstag kommen jeweils ca. 80 Personen.

 
Frage:   Pfarrämter und Seelsorger in den Gemeinden werden immer häufiger von Menschen in Notlagen aufgesucht. Gibt es von deren Seite aus Verknüpfungen, Informationen oder sogar Kooperationen mit Ihrer Stelle?
 
In einigen Fällen fragen Pfarrämter bei mir nach, wenn die wirtschaftliche Situation eines hilfesuchenden Menschen überprüft werden soll, damit die Unterstützung auch sinnvoll umgesetzt werden kann. Sonstige Verknüpfungen oder Kooperationen gibt es eigentlich nicht, auch wenn es ein interessanter Gedanke wäre, an und zu eine Art informellen Austausch zu haben. Denn schließlich sind Pfarrämter ähnlich wie die „Allgemeine Soziale Beratung“ für viele hilfesuchende Menschen eine erste Anlaufstelle.

 
Eine Frage zum Schluss:
Wenn Sie einen oder mehrere Wünsche für die Arbeit an Ihrer Stelle freihätten – was würden Sie sich wünschen?
 
Für eine spontane Antwort ist diese Frage nicht ganz einfach ... ich würde mir vielleicht mehr Zeit für die Beratungsgespräche wünschen. Früher konnte ich die Beratung offen gestalten – wer Rat suchte, konnte in der Regel nach kurzer Wartezeit gleich dran kommen. Heute muss ich Termine vergeben und stehe so bei den Gesprächen immer mehr unter Zeitdruck.
 
Frau Alexander, wir bedanken uns für das Gespräch!

 
Die Allgemeine Soziale Beratungsstelle der Caritas befindet sich am Obstmarkt 28, 90403 Nürnberg. Dort befindet sich auch die Kleiderkammer, die immer wieder gut erhaltene Kleidung, Bettwäsche, Haushaltsgegenstände, Vorhänge, Handtücher und Spielsachen benötigt. Was Sie dort abgeben, kommt direkt bedüftigen Menschen zu gute.

 
Einen Stadtplan auf dem die Allgemeine Soziale Beratungsstelle der Caritas, sowie weitere soziale Einrichtungen mit Adresse und Telefonnummer eingezeichnet sind, finden Sie am Ende unserer Seite des Flugblattes der Wärmestube. Zurück auf dieser Seite bitte mit dem Browserbutton „Zurück“.

 
Dieses Gespräch wurde im Hebst 2006 von Pastoralreferent Michael Schofer, tätig in der Pfarrei St. Martin Nürnberg geführt. Wir bedanken uns bei ihm für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
 
Abgedruckt wurde dieses Gespräch in KONTAKTE, Informationen aus Pfarreien der Katholischen Stadtkirche Nürnberg Allerheiligen, Corpus Christi, St. Clemens, St. Georg, St. Josef, St. Martin und St. Thomas, Ausgabe Dezember 2006, Nr. 4, 33. Jahrgang. Die KONTAKTE werden als Pfarreiausgabe mit einem gemeinsamen Teil und zwei Seiten der jeweiligen Pfarrei gedruckt. Dieses Gespräch wurde im gemeinsamen Teil aller Pfarreien abgedruckt.



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Diese Seite wurde am 17. Dezember 2006.